Sonntag, 22. September 2013

Der Anfang vom Ende in Montreal

Nach 4 Tagen Zugfahrt war ich froh, endlich für mehr als nur einzelne Minuten aus dem Zug aussteigen zu können. Der Bahnhof liegt im Herzen von Downtown Montreal, nur wenige Gehminuten vom Hostel entfernt, in welches wir uns für die nächsten Tage einquartiert haben. Nachdem wir dem Irrgarten des Bahnhofes entflohen waren, dabei unsere bepackten Fahrräder Roll- und normale Treppen hochschleppen mussten, schlug uns, endlich im Freien angelangt, unglaublich dicke, feucht-warme Luft entgegen. Wir hatten uns durch den klimatisierten Zug und Bahnhof täuschen lassen und trugen nun viel zu warme Kleidung, deren wir uns sofort entledigen mussten um noch einen gravierenden Hitzestau abwenden zu können.

Der 6-er Raum im Hostel war keine Augenweide, trotzdem bot er einen nicht zu unterschätzenden Luxus, eine Liege, in welcher es mir möglich war, mit gestreckten Beinen schlafen zu können. Und ich schlief gut, in dieser ersten Nacht im Hostel, liegend und mit gestreckten Beinen. Im besagten 6-er Raum hatte sich unter anderem auch noch George, Amerikaner aus Seattle, einquartiert. Ein rüstiger Rentner, der sich in seinem hohen Alter von 85 Jahren im Trubel von günstigen Hostels wohler fühlt als in teuren Hotels und neben Italienisch, Deutsch und Spanisch jetzt Französisch an der Universität für $25 pro Quartal lernt und während den Schulferien die halbe Welt bereist. Bewundernswerter Kerl...

Montreal bietet einiges, schöne Altstadt, pulsierende Kulturstadt, schrille Partystadt und ruhige Parkstadt - aber sofort spürbar, auch etwas Frankreich. Es ist nicht nur Französisch, welches hier mehrheitlich gesprochen wird, es sind die Leute, die sich hier so offener und impulsiver geben als noch im Westen, es sind die vielen kleinen Restaurants mit Gartensitzplatz in welchen gegessen wird und es sind die Einkaufshäuser, in welchen man plötzlich so viel mehr unterschiedliche Käse, Brote sowie Früchte und Gemüse erhält. Dies bestätigt auch Roger, der Bruder von Nicole (Yolandas Freundin) mit dem wir uns in einer Bar verabreden. Er arbeitet seit 5 Jahren in Montreal an der Universität, schliesst nun bald seinen Doktortitel in theoretischer Physik ab (kreiert neues Material, welches erst theoretisch vorhergesagt wurde) und ist ein Kenner von Montreal. Er zeigt uns einige gute Bars mit Livemusik, das Wohnhaus von Leonard Cohen, einem weltbekannten, kanadischen Idols aus den 60iger Jahren und führt uns durch idyllische Gassen, fernab des hektischen Treibens.

Uns zieht es weiter. Nach gut 3 Wochen fahrradfreier Zeit freuen wir uns auf ein letztes, grosses Abenteuer. Wir geniessen die Fahrt auf den guten Fahrradwegen, geschützt vom Verkehr und abseits des Lärms. Der Indian Summer kündigt sich vereinzelt mit feuerroten Ahornbäumen in den Wäldern bereites an. Wir pedalieren entlang des St. Lorenz Stroms Richtung Quebec und fahren immer wieder durch kleine Dörfchen, die oft eine eigene Bank, Post und Laden haben. Die kleinen Cafes und Boulangeries entlang des Weges verführen immer wieder zu kurzen Stopps. Wir übernachten vermehrt drinnen, denn nach den schwülheissen Tagen in Montreal haben wir unterwegs auch die stechenden, kalten Winde aus dem Norden kennengelernt. Dabei entdecken wir schöne und ruhige B+B und Gites.

Quebec ist nochmals viel mehr Frankreich als Montreal - mehr Frankreich vermag Nordamerika vermutlich nicht erdulden. Hier gibt es an jeder Ecke Strassenkünstler, die sich singend, musizierend und malend den Weg in die Herzen der Passanten und somit in deren Geldbeutel suchen. Die Altstadt, mit dem markanten Wahrzeichen, dem Hotel Fairmont le chateau Frontenac, zieht aber-tausende Touristen zum Flanieren an. So auch an jenem Tag, an dem 4 Kreuzfahrtschiffe vor der Stadt vor Anker gehen, darunter auch die Queen Mary 2, die am Abend dann wieder pompös und stolz an der Altstadt vorbeizieht. Wir geniessen die Zeit dort sehr, auch wenn wir nur einen Tag in der Stadt verbringen - so zu sagen aus Kostengründen.

So einfach wie die Fahrt in die Stadt war, so einfach führt auch der Weg aus der Stadt hinaus. Alles auf Fahrradwegen geführt gelangen wir zur Fähre, die uns auf die andere Seite des St. Lorenz Stroms bringen wird. Von dort folgen wir diesem Richtung Nord-Westen bis wir nicht mehr wollen bzw. bis das Wetter es nicht mehr zulässt. Dann drehen wir Richtung Süden ab und fahren nach Boston, Endziel unserer Reise. 

Aufmerksame Leser und vermutlich einige Bewohner aus Holziken haben bereits mitbekommen, dass die Tour im Westen Kanadas unsere vorerst Letzte auf dieser Reise sein wird. In Montreal haben wir uns definitiv entschieden; Mitte November gehen wir in die Schweiz zurück (auch ohne Sixpack und Jesusbart). Der Entscheid ist uns nicht leicht gefallen, warten doch noch so viele wunderbare Plätze darauf, einfach entdeckt zu werden. Auch wenn es für Aussenstehende aussehen mag, als kämen wir nach Hause, so müssen wir uns dieses Zuhause erst wieder schaffen. So schwer es vor mehr als einem Jahr war, loszulassen, Verbindungen zu kappen, sich zu trennen und Dinge zurück zu lassen, so anspruchsvoll wird es nun sein, mich festzuhalten, Verbindungen neu zu binden und aufzuholen. Denn nicht alles Zurückgelassene möchte ich wieder an mich binden, es soll doch stehts Platz haben für Neues.
Doch während den vielen fahrradfahrenden Stunden im vergangenen Jahr haben sich uns eigenste Träume, Wünsche und Ideen offenbart, die uns mit der Heimat verbinden und uns nun dorthin zurückführen. Wir freuen uns sehr auf das neu zu entdeckende Altbekannte und die Nähe zu unseren Familien und Freunden. Wir wünschen uns nun eine grosse Familie mit eigenem Daheim und träumen vom Realisieren unzähliger neuer Ideen wie: Passfahrt mit Rennvelo, ‘Pilgerreise’ zu Fuss, mehrtägige Reise von Hütte zu Hütte in den Alpen, Mountainbike-Tour in den Bergen, Gitarre spielen, Radtour nach Istanbul, Besuch von Disney World in Florida, unser eigenes Haus selber bauen, meine Fahrräder selber reparieren, einen grossen Garten pflegen, ein eigenes B+B haben, Skulpturen realisieren, Buch schreiben, Künstler werden, die Geschichte der Schweiz kennen, Unterricht in Qi Gong, Tango lernen, Französisch und Spanisch lernen, Achterbahn für den Europapark planen, Zeit haben...

Wer keine Träume hat, der lebt nicht mehr! Oder...?







erste Anzeichen des Indian Summers

B+B von uns getestet

Zugbrücke bei Quebec

Ausblick auf Parlamentsgebäude von Quebec

Hotel Le Chateau Fronternac (nicht von uns ausprobiert)

im Alten Quebec

Skyline von Quebec

Queen Mary 2 bei der Ausfahrt

Sankt-Lorenz Strom

Montreal Downtown

Yolanda im Zwiegespräch 

Höhepunkt: 13'750 km


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